ISBN
978-3-00-064888-5
Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan
Eine spezielle Form der Lebewesen der Replikationsstufe 2 ist die Kugelform,
bei der die Zellen zunächst eine Kugel, später eine Hohlkugel bilden, die
flüssigkeitsgefüllt ist und einer Blastula gleicht. Diese Form tritt bei allen
Wirbeltieren am Anfang ihrer Embryonalentwicklung auf. So wird in der
Individualentwicklung quasi die Evolution im Kleinen wiederholt. Die befruchtete
Eizelle entspricht dem Stadium, in dem das Lebewesen aus einer einzigen Zelle
besteht. Diese Zelle beginnt sich zu teilen, wobei die entstehenden
Tochterzellen sich - wie bei einer Kolonie - nicht voneinander trennen, sondern
einen kugelförmigen Zellhaufen bilden. Danach setzt - wie bei der Entwicklung
der Kolonie zum Mehrzeller - bei den Zellen eine Differenzierung und
Arbeitsteilung ein.
Den weiteren Werdegang im Verlaufe der Evolution hin zu höheren Tieren kann man
sich gut vorstellen, auch hier liefert die Embryologie eine Vorstellung davon,
wie der weitere Werdegang der mehrzelligen Lebewesen bis hin zu den Wirbeltieren
erfolgt sein könnte.
Wir beginnen unsere Überlegungen bei einem Mehrzeller, der in seiner einfachsten
Form aus Zellen besteht, die eine kugelförmig angeordnete einzellige Schicht
bilden. Dies entspricht dem Aussehen eines Blasenkeims, Blastula genannt, und
entsteht direkt aus einer befruchteten Eizelle. Das Innere der Zellkugel ist mit
Flüssigkeit gefüllt. Nach außen und nach innen wird das Zellgebilde durch die
zugehörigen Zellmembranen abgegrenzt.
Wenn sich eine solche Zellen-Hohlkugel aus einer einzelligen Schicht auf einer
Hälfte einbuchtet, etwa so wie ein Fußball, aus dem die Luft komplett entwichen
ist, so entsteht ein halbkugelförmiges Gebilde, welches aus zwei Zellschichten
besteht, zwischen denen sich wiederum ein restlicher Hohlraum befindet. Man
könnte sie als elementarste Hohltiere bezeichnen. Aus diesem Gebilde könnten die
einfachsten Manteltiere hervorgegangen sein. Das Einstülpen der Blastula
bezeichnet man als Invagination, das Ergebnis des Einstülpens nennt man
Gastrula. Den Übergang von der Blastula zur Gastrula bezeichnet man als
Gastrulation.
Die zwei Schichten, aus denen die Gastrula besteht, bezeichnet man als
Keimblätter. Die bisherige Außenschicht nennt man Ektoderm, die Innenschicht
Entoderm. Einen solchen Aufbau kann man sich bei frühesten tierischen
Lebensformen durchaus vorstellen. Im Verlaufe der Evolution bildeten sich
zwischen dem Ektoderm und dem Entoderm weitere Zellen, die das Mesoderm
bildeten, welches als drittes Keimblatt bezeichnet wird.
Parallel zur Spezialisierung der vorhandenen Zellen auf verschiedene Aufgaben
erfolgte eine Organbildung. Zellen mit gleicher Aufgabe konzentrierten sich
räumlich zu Organen.
So entstanden unter anderem die Manteltiere (Tunicata), von denen sich nach
vorherrschender Meinung die Wirbeltiere ableiten. Bei der sexuellen
Fortpflanzung der Manteltiere entstehen aus den befruchteten Eiern Larven, die
unter anderem über eine Chorda und ein Neuralrohr verfügen. Daher zählen die
Tunicata zu den Chordaten, zu denen auch die Wirbeltiere zählen.
Hubert Fechner schreibt dazu in [121] auf Seite 9:
"Bei den Manteltieren begegnen wir einem Bauplantyp, der, nach einigen
konstruktiven Verbesserungen und Funktionswandlungen einzelner Bauelemente,
unter den Wirbeltieren seine höchsten Ausbildungsstufen erreicht.
Die diesen Bauplan kennzeichnenden, wesentlichen Bauelemente sind:
1. Ein dorsal vom Darm liegender, sich in der
Körperlängsachse erstreckender, elastischer Achsenstab - die Chorda - der dem
Fortbewegungsapparat als Stütze und Widerlager dient.
2. Ein erweiterter Vorderdarm, dessen Seitenwände von
mehreren Spalten durchbrochen sind, durch die Wasser aus dem Darm nach außen
befördert wird - eine Bildung, die man als Kiemendarm bezeichnet.
3. Ein dorsal von der Chorda liegendes Neuralrohr."
(Zitatende)
In [121] auf Seite 10 heißt es über die Manteltiere (Tunicata) weiter:
"Namensgebend ist die Fähigkeit der Epidermis, eine mehr oder weniger mächtige,
vielfach komplizierte Strukturen entfaltende Cuticula - den Mantel (Tunica)
abzuscheiden."
In [120] auf Seite 838 wird der Mantel genauer beschrieben:
"Einzigartig im Tierreich ist, dass dieser vorwiegend von der Epidermis
gebildete Mantel neben Wasser und Proteinen besonders Zellulosefasern
("Tunicin") enthält."
Hier wird also von Tieren Zellulose gebildet, die sonst vorwiegend im
Pflanzenreich vorkommt. Nach der Endosymbiontentheorie stellt man sich vor, dass
eine eukaryotische Zelle ein Cyanobakterium aufnimmt, ohne es zu komplett
verdauen. Aus diesem wird der Chloroplast und verleiht dem so entstehenden,
neuen Lebewesen die Fähigkeit zur Photosynthese. Daraus könnten die höheren
(mehrzelligen) Pflanzen hervorgegangen sein.
Falls es einigen zelluloseproduzierenden Manteltieren in der Frühzeit gelungen
sein sollte, derartige Cyanobakterien in ihren Körper zu integrieren und als
Chloroplasten zu nutzen, könnten aus ihnen (unter anderem) auch Pflanzen
entstanden sein.Andererseits könnte es auch umgekehrt gewesen sein. Einige
Vorfahren der Tunicata könnten bereits sessile Pflanzen gewesen sein, die die
Fähigkeit zur Photosynthese verloren, während die Zellulosebildung beibehalten
wurde.
Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan