Gehirntheorie der Wirbeltiere

ISBN 978-3-00-064888-5

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan

2.5   Die Entstehung von segmentierten Lebewesen

Ein Großteil der heutigen Lebewesen weist eine Segmentierung des Körpers auf. Bei Regenwürmern ist sie deutlich sichtbar, aber auch die Wirbeltiere sind segmentiert. Die Segmentierung wird als Metamerie bezeichnet.

Bis zum heutigen Tage gibt es keine anerkannte Theorie darüber, wie Lebewesen mit Metamerie entstanden sein könnten. Wir werden eine solche Theorie in dieser Monografie in Kurzform entwickeln.

Alle Mehrzeller besaßen die Fähigkeit zur Vermehrung. Auch hier gab es, wie beim Einzeller, sowohl die sexuelle als auch die asexuelle Variante. Wir betrachten die asexuelle Vermehrung bei denjenigen Mehrzellern, die wir zur zweiten Replikationsstufe zählen. Sie sind durch die Verselbständigung von Einzellerkolonien zu eigenständigen Wesen entstanden.

Aus einem Mehrzeller konnten durch Teilung oder Sprossung mehrere neue Mehrzeller entstehen, die als (fast) identische Nachkommen interpretiert werden konnten.

Die Sprossung (bzw. Teilung) war möglich, weil sich im Mehrzeller eine Arbeitsteilung zwischen den Zellen herausbildete. Hierbei konzentrierten sich Zellen mit gleicher Arbeitsaufgabe in zusammenhängenden räumlichen Bereichen, dies war der Beginn der Organbildung.

Einzelne Zellbereiche spezialisierten sich auf die Produktion von Spermien bzw. Eizellen. Aus ihnen gingen die Organe für die sexuelle Reproduktion vor. Andere Zellen spezialisierten sich auf die Nahrungsaufnahme, die Verdauung, die Ausscheidung, die Atmung, die Energiegewinnung aus der Nahrung usw.

Ebenso spezialisierten sich spezielle Zellbereiche auf die asexuelle Vermehrung. Diese Zellbereiche können wir uns als Knospungszonen vorstellen. Dort entstanden durch Knospung die Nachkommen des asexuellen Vermehrungsweges. Natürlich könnte man den Zellbereichen für die asexuelle Vermehrung auch einen anderen Namen geben (z. B. Stolo bei Salpen), wir entscheiden uns dafür, sie als Knospungszone zu bezeichnen.

Gewiss war es auch möglich, dass der Mehrzeller - zum Beispiel durch äußere Einflüsse (Krafteinwirkung) - in mehrere Teile zerfiel, von denen einige oder gar alle die Fähigkeit besaßen, sich wieder zu einem vollständigen Mehrzeller zu regenerieren. Wir konzentrieren uns jedoch auf die Knospungszonen, deren Zellen die asexuelle Vermehrung sicherstellten. Hierbei betrachten wir vorwiegend Lebewesen, die lediglich über eine Knospungszone pro Lebewesen verfügten. Vereinfachend denken wir uns die Knospungszone am hinteren Ende des Lebewesens.

Zur asexuellen Vermehrung dieser Lebewesen gehörte also die Ausbildung einer Knospe aus der Knospungszone, die sich letztlich zu einem kompletten Zweitlebewesen entwickelte. Der letzte Schritt war die Abtrennung dieses Zweitlebewesens, so dass es ein Nachkomme wurde.

Diese Abtrennung war ein wichtiger Schritt, der in der Erbsubstanz verankert war und biologisch irgendwie gesteuert werden musste. Erfolgte die Codierung der Einzelschritte in der DNA linear in der Reihenfolge ihres Auftretens, so befand sich der Code für die Abtrennung wiederum am Ende der Codierungskette. Möglicherweise ging manchmal dieser Teil bei der Replikation der DNA verloren oder wurde durch besondere Ursachen übersprungen. Dann kam es hier zu einer Störung, und so entstand anstelle eines Nachkommen ein Doppelwesen. War das nicht abgetrennte Tochterwesen danach auch lebensfähig, weil es Nahrung aufnehmen konnte (oder mitversorgt wurde) und über alle nötigen Lebensfunktionen verfügte, so war dieser Reproduktionsfehler nicht sonderlich dramatisch. Es entstand praktisch eine (sehr kleine) Kolonie aus zwei identischen Lebewesen, die miteinander verbunden blieben. Wenn im Verlaufe der Evolution solche Abschnürungsstörungen wiederholt auftraten und sich häuften, konnten sie sich erblich manifestieren. Dann wurde der letzte Schritt des asexuellen Vermehrungsprozesses, die Abschnürung des aus der Knospe entstehenden Nachfolgers, genetisch aus dem Vererbungsprogramm gestrichen und die Entstehung von Zweisegmentern manifestiert.

Man könnte auch davon sprechen, dass hier ein aus zwei Segmenten bestehendes, neues Lebewesen entstanden ist.

Denkt man sich diese Knospungstheorie auf die Tunicata angewendet und stellt sich vor, dass nach der Knospung beide Tiere einen gemeinsamen Darm benutzten, weil die Afteröffnung des vorderen Tieres mit der Mundöffnung des hinteren Tieres verbunden blieb, so war die Ernährung beider sichergestellt. Falls auch das Blutkreislaufsystem beider verbunden war, weil ja der Blutkreislauf des Elterntieres anfänglich das Tochterwesen ernährte und danach nicht zurückgebildet wurde, so war bei unterbliebener räumlicher Abtrennung ein aus zwei Segmenten bestehendes Doppelwesen entstanden, welches einen gemeinsamen Kreislauf und einen gemeinsamen Darm benutzte. Dieses Wesen war nun keine Kolonie aus zwei Einzelwesen, sondern ein völlig neues, jedoch segmentiertes Lebewesen.

Wir unterstellen, dass dieses Doppelwesen, welches wir als Zweisegmenter bezeichnen, wiederum zu einer sexuellen und einer asexuellen Fortpflanzung fähig war. Da beide Segmente fast identisch aufgebaut waren, besaß jedes Segment die zur sexuellen Fortpflanzung nötigen Organe. Eine asexuelle Fortpflanzung jedoch war nur am hinteren Segment möglich, da sich aus der Knospungszone des ersten Segments das zweite Segment gebildet hatte. Daher verfügte nur das zweite Segment über eine Knospungszone zur asexuellen Fortpflanzung.

Bei der asexuellen Fortpflanzung der Zweisegmenter konnte die Knospungszone des zweiten Segments wieder eine neue Knospe bilden, welche nach dem genetischen Programm zu einem eigenständigen Lebewesen wurde und schließlich ebenfalls abgetrennt wurde. Der entstehende Nachfahre bestand daher zunächst nur aus einem Segment und musste als erstes ein zweites Segment bilden, um zum kompletten Zweisegmenter zu werden. Auch dieses Programm musste in die Erbinformation aufgenommen werden, um an die Nachkommen weitergegeben zu werden.

Eine Abschnürungsstörung beim Zweisegmenter konnte zur Bildung von Lebewesen führen, die aus drei Segmenten bestanden. Sollten sich dieser Vorgang ebenfalls erblich verselbständigen, stand der Bildung von Dreisegmentern nichts mehr im Wege. Viel ändern musste sich ja nicht. Die Knospe am hinteren Ende des Lebewesens besaß ja bereits die Fähigkeit zur Segmentbildung, nun musste nur noch die Abkopplung unterbleiben und der Dreisegmenter war möglich.

Gewiss dauerte dieser Prozess des Übergangs vom Einsegmenter zum Mehrsegmenter viele Millionen Jahre, aber er erforderte keine Neuheiten, sondern nur das Auslassen, das Überspringen eines Schrittes: Die Abkopplung der durch Knospung erzeugten Nachfahren musste lediglich unterbleiben.

So stellen wir uns in dieser Monografie die Entstehung von segmentierten Lebewesen vor, die zunächst aus zwei, dann aus drei und letztlich aus vielen Segmenten bestanden. Diese Segmente nutzten die Organe für die Ernährung und den Stofftransport gemeinsam.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass auf diese Art sowohl segmentierte Tiere als auch segmentierte Pflanzen entstanden sein können. Bei Pflanzen war es zudem möglich, dass jedes Segment (und damit auch das Startlebewesen) über mehrere Knospungszonen verfügte. So ließe sich die verzweigte Form von Farnen, Bäumen und vielen Pflanzen erklären.

Welche Indizien könnten die hier entwickelte Theorie stützen?

Da die Manteltiere (Tunicata) die einfachsten Chordaten darstellen, beginnen wir mit unserer Indiziensuche bei ihnen. Hierzu ist ein Rückblick auf die Physiologie der Manteltiere nötig. Diese besitzen bereits einen Generationswechsel, bei dem sich asexuelle und sexuelle Fortpflanzung im Wechsel ablösen. Die asexuelle Fortpflanzung geschieht durch Knospung.

Als Besonderheit tritt bei etlichen Arten während der Knospung eine Koloniebildung auf. Die durch Knospung entstehenden Nachkommen bleiben dann miteinander verbunden. Bei einigen Arten tritt sogar eine Arbeitsteilung auf. Das Muttertier dient dann der Ernährung der Knospen, die wiederum Eier oder Spermien produzieren und so die Nachkommenschaft sichern.

Einige Arten der Manteltiere (Salpen) bilden schnurförmige Kolonien, bei denen alle Tiere eine Art gemeinsamen Darm nutzten.  Jedes Tier ist mit dem nachfolgenden so verbunden, dass die Kiemendarmhöhle des Vorgängers mit der Kiemendarmhöhle des Nachfolgers über ein Entodermalrohr verbunden ist, siehe [121], Seite 72. Dort heißt es u. a.:

 

-Das Entodermalrohr, das bald zurückgebildet wird, begleitet auf der Ober- und Unterseite je ein mit Endothel ausgekleidetes Blutgefäß, welches mit den Blutbahnen des Oozoids in Verbindung steht, vom dem aus die Tochterindividuen auf diesem Wege mit Nährstoffen versorgt werden. Im oberen Gefäß fließt das Blut in Richtung Stolospitze, im unteren zurück zum Muttertier.-

 

Dieses Gebilde aus miteinander verbundenen Salpen könnte man durchaus als Vorstufe eines neuen, eigenständigen Lebewesens ansehen. Ein gemeinsamer Blutkreislauf ist dafür ein starkes Argument.

Daher stellen wir in dieser Monografie die These auf, dass sich aus den Mehrzellern der Replikationsstufe 2 - die durch Koloniebildung und Verselbständigung aus Einzellern entstanden - nun selbst wieder Kolonien aus gleichartigen, mehrzelligen Lebewesen bildeten. Die Koloniebildung wurde schrittweise in den genetischen Code aufgenommen und erblich. So entstand eine neue Art von Lebewesen, die anfänglich lediglich aus der Aneinanderreihung von bereits existierenden Mehrzellern bestand. Jedes Einzelwesen in diesem Kolonieverband repräsentierte ein Segment, das Gesamtwesen bestand daher aus einer Reihe von miteinander verbundenen Segmenten, die zumindest am Anfang im Prinzip untereinander gleich waren.

Derartige Lebewesen werden wir als Lebewesen der Replikationsstufe 3 bezeichnen. Wir wollen diese Lebewesen als segmentierte Lebewesen bezeichnen.

Definition: Lebewesen der Replikationsstufe 3:

Die durch Verselbständigung der Kolonien von Lebewesen der Replikationsstufe 2 entstehenden Lebewesen bezeichnen wir in dieser Monografie als Lebewesen der Replikationsstufe 3 oder als segmentierte Lebewesen.

 Damit trat der Vorgang der Koloniebildung und der Verselbständigung der Kolonien zu neuen, eigenständigen Lebewesen in der Evolution zweimal auf. Zunächst bildeten sich die einfachen Mehrzeller aus Kolonien von Einzellern. Danach bildeten sich die segmentierten Lebewesen aus Kolonien von gleichartigen Mehrzellern.

Wir erinnern uns daran, dass die Lebewesen der ersten und der zweiten Replikationsstufe sowohl Tiere als auch Pflanzen sein konnten. Es fragt sich, ob dies auch für die Lebewesen der dritten Replikationsstufe gelten könnte. Offensichtlich spricht vieles dafür.

Wir haben im vorigen Kapitel vermerkt, dass bei Lebewesen der zweiten Replikationsstufe die Sprossungszone möglicherweise auch mehrfach vorhanden sein könnte. Gäbe es drei Sprossungszonen, so würden sich an dem Mutterwesen drei neue Ablegerwesen durch Knospung bilden. Diese würden bei Lebewesen der dritten Replikationsstufe am Mutterwesen haften bleiben. Wenn nun jedes der drei neuen Tochterwesen wieder drei Sprossungszonen besäße, könnte jedes wieder drei durch Sprossung erzeugte Teile bilden. Dieser Prozess könnte sich öfter wiederholen. Am Ende entstünde ein völlig verzweigtes Lebewesen, welches in etwa an einen Farn erinnern würde. Möglicherweise sind also höhere Pflanzen als Lebewesen der dritten Replikationsstufe aufzufassen, die sich aus elementaren Vorgängerpflanzen durch Sprossung bilden, wobei mehrere Sprossungszonen pro Segment möglich sind.

Hier wird verständlich, warum bei Tieren höchstwahrscheinlich nur eine Sprossungszone vorhanden ist. Tiere sind bewegliche Wesen, und wenn sie sich baumartig verzweigen würden, wäre die Koordination der Bewegung der Einzelsegmente unmöglich. Bilden die Segmente dagegen eine Kette, so kann ein Informationsaustausch über Nervenzellen die wohlgeordnete Bewegung des Gesamttieres aus Einzelsegmenten durchaus ermöglichen, z. B. beim Tausendfüßer. Dieser Informationsaustausch, der auch durch einen Stoffaustausch (z. B. über einen gemeinsamen Blutkreislauf usw.) ergänzt wird, kann mit dem Segmentmodell hervorragend erklärt werden. Insbesondere kann hier die Entstehung des Wirbeltiergehirns auf nachvollziehbare Weise erläutert werden, wie in dieser Monografie noch gezeigt werden wird.

Dennoch kann eine Koloniebildung auf andere Art nicht ausgeschlossen werden. Es ist beispielsweise durchaus möglich, dass Schwämme anfänglich mehrzellige Wesen der zweiten Replikationsstufe waren, die über Koloniebildung und Verselbständigung zu Wesen der dritten Replikationsstufe wurden. Hier wäre die Koloniebildung räumlich in alle Richtungen erfolgte, so dass keine Segmentierung mehr nachweisbar wäre.

Die Unterscheidung von Kolonien aus Lebewesen der Replikationsstufe 2 und Lebewesen der Replikationsstufe 3 ist bei Betrachtung eines bestimmten Exemplars nicht immer einfach. Betrachtet man jedoch mehrere aufeinanderfolgende Generationen, so wird die Unterscheidung leichter.

Bei Lebewesen der dritten Replikationsstufe ist die Segmentbildung ein Teil des genetischen Codes geworden.

 

Wir unterstellen in dieser Monografie der DNA eines Lebewesens nicht nur eine Steuerfunktion, sondern auch eine Protokollfunktion. Gemeint ist damit, dass wesentliche Änderungen im individuellen Leben eines Lebewesens (vermutlich) auch in der DNA protokolliert und an die Nachkommen weitergegeben werden. Werden beispielsweise Lebewesen auf eine kleine einsame Insel verschlagen, auf der Nahrungsmangel herrscht, so werden sie weniger groß werden. Der Nahrungsmangel wird dann möglicherweise in der DNA protokolliert. Diese Besonderheit kann daher über die DNA an die Nachkommen weitergegeben werden, so dass diese ebenfalls klein bleiben. Ebenso könnten Informationen über Krankheitserreger, die dem Körper bisher unbekannt waren, in den genetischen Erkennungscode aufgenommen werden und die Nachkommen gegen sie resistent machen.

Die Annahme einer solchen Protokollfunktion der DNA erlaubt die Erklärung, warum die Knospenbildung mit unterbliebener Abtrennung, die letztlich zu segmentierten Lebewesen führt, ins genetische Programm aufgenommen wird. Die Abschnürungsstörung wird protokolliert und tritt bei den Nachkommen ebenfalls auf. Ist sie statistisch selten, so wird bei der sexuellen Fortpflanzung nach den Mendelschen Gesetzen nur ein geringer Anteil diese Abschnürungsstörung erben, die übrigen Nachkommen werden unsegmentiert sein. Aber falls sich diese zahlenmäßig unterlegenen Nachkommen mit Segmentbildung vorwiegend untereinander paaren, wird sich diese Abschnürungsstörung stärker manifestieren. Letztlich kann eine neue Art - die segmentierte Variante - entstehen, möglicherweise deshalb, weil die unsegmentierten Tiere kleiner sind und leichter gefressen werden können oder einen anderen Selektionsnachteil aufweisen.

Die Protokollfunktion der DNA wäre dann auch verantwortlich dafür, dass im sexuellen Vermehrungsweg die gleichen Algorithmen ablaufen wie im vegetativen Bereich. Bereits im befruchteten Ei würde der genetisch protokollierte Entwicklungsweg genommen. So würde man nach der Befruchtung des Eis beobachten, wie sich im Embryo eine Knospungszone bildet, aus der nach und nach die einzelnen Segmente des Lebewesens entstehen.

Bei höher entwickelten Arten würde diese Knospungszone während der Embryonalentwicklung dann nicht mehr explizit wahrnehmbar sein, stattdessen entstünde bereits ein längliches, keilartiges Gebilde, welches die Form des künftigen Lebewesens vorwegnimmt und sich weiter differenziert und segmentiert.

Die Aufnahme der Segmentbildung in den sexuellen Vermehrungsweg ist letztlich das Unterscheidungsmerkmal dafür, ob es sich lediglich um eine Kolonie aus Wesen der zweiten Replikationsstufe handelt oder ob bereits ein segmentiertes Wesen der dritten Replikationsstufe vorliegt.

Nimmt man an, dass die Wirbeltiere von den Manteltieren (Tunicata) abgeleitet sind, müssten die im sexuellen Fortpflanzungsprozess entstehenden Larven in Übereinstimmung mit der Segmentbildung im Verlauf der Evolution ebenfalls eine segmentierte Struktur entwickeln, wenn die adulten Tiere ebenfalls zur Segmentbildung befähigt waren. Die bereits vorhandene Chorda der Larven würde in diese Segmentierung eingebunden werden.

Es ist davon auszugehen, dass die Segmentierung, also die Verselbständigung der Koloniebildung der Lebewesen der zweiten Replikationsstufe, mehrfach und parallel zueinander aufgetreten sein wird. Insofern sind segmentierte Lebewesen - egal ob Pflanzen oder Tiere - nicht alle direkt miteinander verwandt, nur weil sie eine Segmentierung aufweisen.

Die Segmentierung der Tiere führte im Falle der Tunicata vermutlich zur Entstehung der Wirbeltiere. Auch hier gab es sicherlich Parallelentwicklungen. So sind beispielsweise einige Salpenarten lebensgebärdend, andere verfügen nicht über diese Fähigkeit. Ebenso gibt es bei Wirbeltieren eierlegende und lebendgebärdende. Eine Aufspaltung kann daher schon sehr früh aufgetreten sein.

Wenn die Segmentierung letztlich jeweils sowohl die Elterntiere als auch ihre durch sexuelle Vermehrung erzeugten Larven betraf, so besaßen auch diese Larven eine derartige Segmentierung. Dies bedeutet, dass die Segmentierung vom Adultstadium in das Embryonalstadium vorverlegt wurde.

Die Bildung solcher Mehrsegmenter im Adultstadium kann bei den Salpen, die zu den Manteltieren gehören, real beobachtet werden. Ob ihre Larven bereits segmentiert wind, kann hier nicht entschieden werden. Aber die hier skizzierte Entwicklungstheorie kann erklären, warum die Wirbeltiere sowohl zu den Chordaten zählen als auch, warum sie segmentiert sind. Die asexuelle Vermehrung durch Sprossung, bei der die Einzeltiere einen neuen, segmentierten Organismus bilden, und bei der die Sprossung im Verlaufe der Evolution vom Adultstadium in das Embryonalstadium vorverlegt wird, wäre geeignet, segmentierte Wirbeltiere hervorzubringen. Die Chorda des Embryonalstadiums der urtümlichen Manteltiere bliebe erhalten und würde bei den Wirbeltieren letztlich zur Wirbelsäule ausgebaut, die Metamerie der Segmenttiere bliebe dabei erhalten.

Und da es unter den Salpen bereits Lebendgebärende gibt, könnte bei einem Teil der hervorgehenden Segmenttiere die Fähigkeit erhalten geblieben sein, ihre Nachkommen lebend zu gebären.

Überhaupt ließe sich vermuten, dass sich die verschiedenen Tunicata auf dem Weg zu Segmentlebewesen unterschiedlich entwickelten. Möglicherweise entstanden aus ihnen auch segmentartig aufgebaute Pflanzen, bei denen die Zellulose die äußere Stabilität gewährleistete.

Die Festigkeit der frühen, segmentierten Tiere könnte im Verlaufe der weiteren Evolution durch neue Strukturelemente verbessert worden sein. Etliche könnten ein Außenskelett - etwa aus Chitin - gebildet haben, so dass aus ihnen die Insekten hervorgingen, die ja alle segmentiert sind. Andere könnten ein kalkhaltiges Außenskelett gebildet haben, so dass beispielsweise die Krebstiere entstehen konnten. Mit einem inneren, hydrostatischen Skelett konnten die verschiedenen segmentierten Würmer entstehen, die noch heute die Erde bevölkern. Letztlich konnte auch ein Innenskelett aus Knorpel und später aus Knochen gebildet worden sein, so dass die ebenfalls segmentierten Wirbeltiere der verschiedensten Gattungen entstanden sein könnten. Aus der frühen Chorda entwickelte sich so die segmentiert aufgebaute Wirbelsäule.

Dies würde erklären, warum die Genforschung beispielsweise bezüglich der Hox-Gene für die unterschiedlichsten Tierarten so übereinstimmende Ergebnisse liefert. Hox-Gene sind für die Strukturierung des Körpers verantwortlich. Und hier findet man sehr große Analogien etwa zwischen Fliegen (Drosophila) und Säugetieren.

Bei einem Teil der Segmenttiere kann während der Embryonalentwicklung im Ei die Bildung der Segmente direkt beobachtet werden. Beispielsweise bei den Ringelwürmern (Anneliden) oder bei Insekten mit plasmaarmen Eiern. Bei Letzteren bildet sich aus der Keimanlage ein Kurzkeim.

-Ein Kurzkeim, wie z. B. der von Tachycines, besteht lediglich aus dem Vorderkopf (ohne Kiefersegmente) und einer präanalen Segmentbildungszone die anschließend sämtliche Segmente (auch die des Gnathocephalon) teloblastisch erzeugt, wie es grundsätzlich auch bei der Trochophore der Anneliden der Fall ist.- [119], Seite 212.

Bei höher entwickelten Segmenttieren ist eine solche Segmentbildungszone nicht mehr direkt auszumachen.

Die Segmentierung erlaubt es uns, in dieser Monografie die Entstehung des Wirbeltiergehirns im Verlaufe der Evolution zu erklären. Daher wurde sie hier so ausführlich behandelt.


Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan