Gehirntheorie der Wirbeltiere

ISBN 978-3-00-064888-5

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan

5.9  Die Bewegungsanalyse in der Amygdala für maximumcodierte Signale

Nach der Herausbildung der Signaldivergenz im olfaktorischen Cortex war dessen Output minimumcodiert. Im vorigen Kapitel wurde erläutert, wie die Amygdala diese Signale in maximumcodierte überführte. Nötig war dazu lediglich eine Signalinversion. Zuvor erfolgte eine Umschaltung auf GABA. Das nunmehr hemmende Signal wirkte auf die tonische Dauererregung der Inversionsneuronen hemmend, dies entsprach einer Signalinversion.

Die maximumcodierten Signale erschufen in der Amygdala ein verfeinertes Abbild der Umwelt. Sie repräsentierten Duftmischungen.

Es war ein evolutionärer Vorteil, wenn man nun ebenfalls die Bewegung der zugehörigen olfaktorischen Objekte erkennen konnte. Dazu musste das Amygdalasystem jedoch weiter ausgebaut werden.

Ziel war es, die maximumcodierten Outputsignale der Amygdala in eine zeitverzögerte und hemmende Signalvariante zu überführen, denn damit konnte eine Differenzabbildung generiert werden. Hierzu hemmte diese Signalvariante die Ursprungssignale. Wenn sich in der Zwischenzeit nichts geändert hatte, so löschten sich beide Signalkomponenten aus. Übrig blieben nur die bewegten Objekte.

Die Zeitverzögerung im Wirbeltiergehirn wird generell vom dopaminergen Mittelwertkern realisiert.

Im ersten Schritt werden die maximumcodierten Outputsignale der basalen Amygdala zur Area tegmentalis ventralis gesendet und dort auf Dopamin umgeschaltet. Ihre Rückprojektion endet in der zentralen Amygdala an GABAergen Inversionsneuronen. Diese sind tonisch erregt, weil sie aus dem magnocellularen basalen Kern dessen Dauererregung empfangen. Da diese Neuronen den Dopaminrezeptor vom Typ D1 besitzen, werden sie vom dopaminergen Input gehemmt. Dies entspricht einer ersten Signalinversion. Daher sind diese Signale nun minimumcodiert und hemmend, zusätzlich zeitverzögert durch den langen Weg zur VTA und zurück.

Wir brauchen jedoch maximumcodierte Signale in der zeitverzögerten und hemmenden Variante. Also muss sich eine weitere Signalinversion anschließen.

Diese zweite Signalinversion erfolgt in der medialen Amygdala. Diese ist ebenso aufgebaut wie die zentrale Amygdala. Sie besteht ebenfalls aus hemmenden Neuronen, die durch das Mittelwertsignal aus der basalen Amygdala tonisch erregt sind. Der Input aus der zentralen Amygdala wird also nochmals invertiert. Nun liegen die Amygdalasignale mit einer Zeitverzögerung in der hemmenden und maximumcodierten Variante vor. Sie bilden die hemmende Komponente der Differenzabbildung.

Der Ort für diese Differenzabbildung ist der basale Nebenkern der Amygdala, Hier werden in einer Punkt-zu-Punkt-Abbildung das Originalsignal der Amygdala in der maximumcodierten Variante mit dem hemmenden, zeitverzögerten und ebenfalls maximumcodierten Version zusammengeführt an den Differenzneuronen. Diese sind nur noch dort aktiv, wo in der Zwischenzeit (der Zeitverzögerung) eine Bewegung des olfaktorischen Objekts stattgefunden hat. Aber auch andere maximumcodierte Signale (Helligkeiten/Farben) können auf diese Art hinsichtlich erfolgter Bewegungen überprüft werden.

 Das digitale limbische System

Abbildung 72 - Grundschaltung des limbischen Systems nach Malczan

Theorem der Bewegungserkennung in der Amygdala für maximumcodierte Signale

Die Bewegungserkennung für maximumcodierte Signale in der Amygdala erfolgt durch die Hintereinanderschaltung eines dopaminergen Umschaltkerns mit Zeitverzögerung (VTA) und zweier Inversionskerne sowie eines Differenzkerns, in dem die zeitsensitive Differenzabbildung zur Bewegungserkennung erzeugt wird.

Die Area tegmentalis ventralis (VTA) ist der dopaminerge Umschaltkern und prägt dem Input eine Zeitverzögerung auf.

Beide Inversionskerne benötigen ein tonisches Dauersignal für die Inversion, sie beziehen es aus dem Mittelwertkern der Amygdala, dem magnocellularem basalen Kern.

Beide Inversionskerne bestehen aus GABAergen Neuronen. Der erste, der zentrale Amygdalakern, erhält seinen zu invertierenden Input vom lateralen Kern der Amygdala über die basale Amygdala, wo die Signale zur Mittelwertbildung beitragen.

Der invertierte Output erreicht hemmend den medialen Kern der Amygdala, wo er nochmals invertiert wird.

Das hemmende und zeitverzögerte Signal erreicht als hemmende Komponente der Differenzabbildung den basalen Nebenkern der Amygdala. Die erregende Komponente ist das Originalsignal, welches über die laterale Amygdala und die basale Amygdala diesen Differenzkern erreichte.

Ist das erregende Gegenwartssignal stärker als das hemmende Vergangenheitssignal, so bleibt im Differenzkern ein erregendes Differenzsignal übrig, welches Reaktionen auslösen konnte.

Damit ermöglichte das dopaminerge System, bestehend aus VTA und Substantia nigra pars compacta die Bewegungsanalyse. Eine besondere Bedeutung hatten die Dauersignale, die zur Signalinversion unabdingbar waren. Ein Ausfall der Bereitstellung der Dauersignale im magnocellularen basalen Kern der Amygdala oder im Nucleus subthalamicus beraubte das Wirbeltier der Fähigkeit zur Bewegungsanalyse, die auf dem Kurzzeitgedächtnis beruhte, welches seine Wurzeln in der dopaminergen Zeitverzögerung hatte.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Neurologen bei Störungen der Basalganglien eine tiefe Hirnstimulation empfehlen, bei der z. B. der Nucleus subthalamicus mit extern erzeugten hochfrequenten elektrischen Signalen erregt wird, die über feine Sondendrähte in diese Region übertragen werden. Die externe Ankurbelung der nötigen Dauersignale im Nucleus subthalamicus kann die Symptome lindern, die ihr Ausfall ansonsten verursacht.

Der Nucleus basalis Meynert, der als cholinerger Mittelwertkern fungiert und direkt neben dem Globus pallidus angeordnet ist, versorgt mit seinen Mittelwertsignalen (höchstwahrscheinlich) den Globus pallidus, der ebenso seine Mittelwertsignale vom Nucleus subthalamicus bezieht. Daher tritt bei Störungen des Nucleus basalis Meynert ebenfalls eine Störung der Bewegungsanalyse auf.

Theorem der tiefen Hirnstimulation

Bei der tiefen Hirnstimulation wird über feine Sondendrähte ein extern erzeugtes hochfrequentes elektrisches Signal in das Mittelwertzentrum der Basalganglien übertragen und kann dort das durch eine Störung geschwächte Mittelwertsignal wiederherstellen. Dadurch bessern sich die krankheitsbedingten Symptome von Alzheimer und Parkinson. Die Signalzuführung kann im Nucleus subthalamicus erfolgen, aber auch im Striatum bzw. Globus pallidus. Theoretisch möglich wäre auch eine Signalzuführung im Nucleus basalis Meynert. Dadurch erlangen Betroffene wieder die Fähigkeit zur Bewegungsanalyse und Bewegungssteuerung, aber ebenso verbessern sich die kognitiven Leistungen, die durch die Veränderungsanalyse von nichtmotorischen Signalen ermöglicht werden.

Eine mögliche Reaktion auf das zeitsensitive Differenzsignal zur Bewegungsanalyse war die motorische Ansteuerung des neuronalen Taktgebers für die Vortriebssteuerung. Denn nur, wenn das Tier in Richtung Beute schwamm, war z. B. das olfaktorische Differenzsignal vorhanden. Bewegte sich ein Tier zufällig in verschiedene Richtungen, so lieferte das olfaktorische Differenzsignal den stärksten Wert, wenn es auf die Beute zuschwamm. Daher konnte es für die Auslösung dieser Bewegungen hin zur Beute direkt verwendet werden. Das olfaktorische Differenzsignal gleicht damit dem Signal eines Radargerätes, es war am stärksten in Richtung der Beute. Es konnte jedoch nur arbeiten, wenn das Tier sich vorwärtsbewegte. Denn nur dann nahm die Stärke des Geruchsgradienten zu.

Das Differenzsignal konnte nicht nur im Amygdalasystem gebildet werden, sondern parallel dazu auch im nichtlimbischen System der Basalganglien. Dazu sandte die VTA dieses Signal über Kollateralen gleichzeitig zum Nucleus accumbens, der das ventrale Striatum darstellte. Dort erfolgte die erste Signalinversion an den Neuronen der Schale (Shell). Diese erhielten ihr tonisches Signal zur Inversion von den hindurchziehenden, cortikalen Axonen. Wegen der Dopaminrezeptoren D1 wurden diese tonisch erregten Neuronen gehemmt, so dass der Input invertiert wurde.

Die zweite Signalinversion erfolgte in Globus pallidus, der sein tonisches Dauersignal zur Inversion vom Nucleus subthalamicus erhielt.

Der Globus pallidus projizierte die hemmende und durch zweifache Inversion ebenfalls maximumcodierte Komponente zum Thalamus, der zusätzlich auch die ursprünglichen, erregenden Originalsignale empfing. So entstand im (ventralen) Thalamus ebenfalls eine zeitsensitive Differenzabbildung zur Bewegungserkennung. Der Thalamus projizierte dieses Ergebnis zum Cortex, wo es weiter ausgewertet werden konnte.

So arbeiteten die Amygdala und das Basalgangliensystem Hand in Hand und erzeugten die gleiche Differenzabbildung an unterschiedlichen Stellen.

Dies ist ein Beispiel dafür, dass es im Gehirn viele redundante Subsysteme gibt, so dass beim Ausfall eines Systems die Auswertung der Signale in anderen „Reservesystemen“ vorgenommen werden kann.

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan