Gehirntheorie der Wirbeltiere

ISBN 978-3-00-064888-5

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan

Thesen zur Gehirntheorie von Andreas Malczan

Diese Gehirntheorie beschreibt hypothetisch die schrittweise Entstehung des Gehirns im Verlaufe der Evolution und erklärt die Wirkprinzipien der Signalverarbeitung in den verschiedenen Substrukturen des Gehirns unter der Annahme, dass diese sich schrittweise entwickelt haben, so dass die Prinzipien der Signalverarbeitung sich ebenfalls schrittweise veränderten, im Ergebnis dieses Prozesses entstand als vorläufiges Endergebnis das menschliche Gehirns, dessen Funktionsweise in großen Teilen auf das Wirbeltiergehirn zurückgeführt werden kann.

Diese Gehirntheorie besteht aus einer Reihe von Hypothesen, die nachfolgend aufgeführt werden.

  1. Der Mensch ist ein Wirbeltier, sein Gehirn entwickelte sich aus dem Gehirn von Wirbeltieren.

  2. Wirbeltiere sind Chordaten, ihr Nervensystem muss aus dem Nervensystem von Chordaten entstanden sein.

  3. Chordaten sind bilaterale segmentierte Tiere, ihr Nervensystem muss also aus dem Nervensystem von bilateralen, segmentierten Tieren entstanden sein.

  4. Bei den einfachsten segmentierten Bilateria besteht der Körper (mit Ausnahme des Kopf- bzw. Schwanzsegments) aus (fast) identischen Segmenten.

  5. Die einfachsten segmentierten Bilateria müssen aus unsegmentierten Bilateria hervorgegangen sein. Dies geschah über die Zwischenstufe der Koloniebildung. Bei der asexuellen Vermehrung, die im Wechsel mit der sexuellen stattfand, entstanden die Nachkommen durch Knospung. Wenn die durch Knospung entstandenen Tochterwesen nicht abgetrennt wurden, entstand eine Kolonie aus zwei, später drei und letztlich vielen identischen Einzelwesen. Jedes Einzelwesen stellte ein Segment des künftigen, segmentierten Lebewesens dar. Mit der Herausbildung einer Arbeitsteilung zwischen den miteinander verbundenen Segmenten, die auch zur Spezialisierung von Elementen führen konnte, entstanden echte segmentierte Tiere. Bei diesen war die unterbliebene Abtrennung der durch Knospung entstandenen Tochterwesen genetisch manifestiert. Auch im sexuellen Vermehrungsweg entstand ein segmentiertes Wesen. So entstanden die segmentierten Bilateria.

  6. Das Nervensystem der segmentierten Bilateria entstand aus dem Nervensystem der unsegmentierten Bilateria, die nunmehr die Segmente des neuen, segmentierten Lebewesens bildeten.

  7. Das besondere Kennzeichen dieser Lebewesen war eine Spezialisierung von Zellen, die sich zu Organen zusammenfanden. Die Konzentration spezieller Nervenzellen führte zur Entstehung neuronaler Organe, die wir als neuronale Zentren bezeichnen.

  8. Das Nervensystem der unsegmentierten Bilateria, deren Linie zu den Wirbeltieren und letztlich zum Menschen führt, war ein zentralisiertes Nervensystem, welches ebenfalls symmetrisch war. Es gab auf jeder Körperhälfte drei Arten von neuronalen Zentren.

  9. Im motorischen Zentrum befanden sich die Motoneuronen, die mit ihren Axonen die Muskeln der jeweiligen Körperhälfte ansteuerten.

  10. Im sensorischen Zentrum befanden sich die Neuronen, die Input von Rezeptoren dieser Körperhälfte empfingen und ihn mit ihren Axonen die Motoneuronen des motorischen Zentrums kontaktierten.

  11. Im Mittelwertzentrum befanden sich Neuronen, die der Steuerung von wichtigen Lebensprozessen dienten. Sie empfingen vom sensorischen und motorischen Zentrum Steuersignale, wirkten jedoch auch aktivierend auf diese zurück.

  12. Die beidseitig vorhandenen sensorischen und motorischen Zentren sowie die Mittelwertzentren sind das Ergebnis der räumlichen Konzentration von Zellen mit gleicher Aufgabe zu Organen und stellen somit die Urformen der neuronalen Organe dar.

  13. Jedes neuronale Zentrum einer Körperhälfte wirkte hemmend auf das analoge neuronale Zentrum der kontralateralen Körperhälfte ein, so dass sich diejenigen Signale durchsetzten, die auf einer Körperhälfte stärker waren (kontralaterale Hemmung). Bewirkt wurde dies durch hemmende Interneuronen.

  14. Bereits im unsegmentierten Tier, dessen Linie zu den Wirbeltieren und zum Menschen führte, gab es vier Klassen von Projektionsneuronen, die wir später im Gehirn des Menschen wiederfinden. Im sensorischen Zentrum jeder Körperhälfte projizierten Neuronen der Klasse 3 zum ipsilateralen motorischen Zentrum, wo sich die Neuronen der Klasse 5 befanden, die zu motorischen Zielen projizierten. Sowohl im sensorischen als auch im motorischen Zentrum jeder Körperhälfte integrierten Mittelwertneuronen der Klasse 6 die Erregung  und projizierten in das ipsilaterale Mittelwertzentrum, so dass die Steuerung der Lebensfunktionen auch von der sensorischen und motorischen Erregung abhängig war. Jedes Mittelwertzentrum projizierte aktivierend sowohl in das sensorische als auch das motorische Zentrum der gleichen Körperhälfte, indem es Neuronen der Klasse 1 in diesen Zentren erregte und diese die dortigen Neuronen aktivierten. Jedes neuronale Zentrum projizierte mittels Neuronen der Klasse 2 in einen Seitenwechselkern, der seinerseits erregend in das kontralaterale gleichartige Zentrum projizierte, dort jedoch an hemmenden Interneuronen endete.  So wurde die kontralaterale sensorische, motorische und Mittelwert-Hemmung realisiert. Beide Körperhälften standen in neuronaler Konkurrenz zueinander.

  15.  Somit gab es vier Klassen von Projektionsneuronen bereits beim ursprünglichen unsegmentierten Bilateria, dessen Linie zu den Wirbeltieren führte.

  16. Beim Übergang von den unsegmentierten zu den segmentierten Bilateria kam es zu Interaktionen zwischen benachbarten Segmenten, teils auch zwischen allen Segmenten. Der gemeinsame Darm diente der Aufnahme von Nährstoffen, ein gemeinsamer Blutkreislauf diente der gemeinsamen Versorgung aller Segmente mit Nährstoffen und Sauerstoff sowie dem Abtransport der Stoffwechselreste und des Kohlendioxids. Ebenso kam es zu einem neuronalen Signalaustausch zwischen den Segmenten.

  17. Anfangs kam es dazu, dass die Axone von Rezeptoren nicht nur im sensorischen Zentrum des eigenen Segments endeten, sondern zunehmend auch die Segmentgrenze zu den beiden direkt angrenzenden Nachbarsegmenten überwanden und dort im sensorischen Zentrum endeten. Dies beobachtet man noch heute sogar bei den Wirbeltieren. Die Dermatome des Menschen überwinden ebenfalls die Segmentgrenzen, so dass sich die Dermatome der verschiedenen Segmente jeweils überlappen. Dies ist ein Relikt aus grauer Vorzeit. Die segmentfremden Signale erreichten über die Rezeptoraxone die Neuronen der Klasse 3 und wurde von diesen an das motorische Zentrum übergeben. Sie fanden dort jedoch keine motorischen Ziele, so dass sie ebenfalls die Segmentgrenzen überwanden und zum Ursprungssegment zurückkehrten.

  18. Der neuronale Signalaustausch zwischen den Segmenten wurde perfektioniert, als sich zwei neue Arten von Projektionsneuronen entwickelten, denen wir die Neuronenklasse 4 und 5 zuordnen. Bei den segmentierten Bilateria, deren Linie zu den Wirbeltieren führt, übernahmen Neuronen der Klasse 4 den Signaltransport von einem Segment zum kopfseitigen Nachbarsegment. Jeder Rezeptor erregten nicht nur ein Projektionsneuron der Klasse 3, welches zum ipsilateralen motorischen Zentrum dieses Segments projizierte, sondern zusätzlich ein Projektionsneuron der Klasse 4, dessen Axon die Segmentgrenze überwand und im kopfseitigen Nachbarsegment ein eigenes Neuron der Klasse 3 sowie (im Verlauf der Evolution) auch ein Projektionsneuron der neuen Klasse 4 erregte, welches wiederum ins nächste kopfseitige Segment projizierte. So gab es in jedem sensorischen Zentrum jedes Segments den kompletten Input der eigenen Rezeptoren (Eigeninput) als auch den Input aller Rezeptoren aller schwanzseitig gelegenen Segmente (Fremdinput). Das Kopfsegment verfügte über den Input aller ipsilateralen Rezeptoren aus allen Segmenten - dort konnte ein Gehirn entstehen.

  19. Der aufsteigende Fremdinput erreichte über Neuronen der Klasse 3 das motorische Zentrum des Segments, fand dort jedoch keine motorische Ziele, denn er stammte aus tieferliegenden Segmenten, wo entsprechende Rezeptoren die zugehörigen Motoneuronen ansteuerten. Daher wurde der Fremdinput über Projektionsneuronen der Klasse 5 absteigend dem Segment zugeführt, in dem sich die motorischen Ziele befanden.

  20. So entstand auf jeder Körperhälfte ein Nervensystem, welches einer Strickleiter ähnelte. Auf der sensorischen Seite bildeten die sensorischen Zentren die sensorischen Ganglien (Zellhaufen), während auf der motorischen Seite die motorischen Zentren die motorischen Ganglien bildeten. Der sensorische Leiterholm wurde von den Axonen der Neuronen Klasse 3 genbildet, der motorische Leiterholm bestand aus den Axonen der Neuronen der Klasse 5. Die Axone der Neuronen der Klasse 3 bildeten die waagerecht verlaufenden Kommissuren. Die Zellhaufen (Ganglien) stellen neuronale Organe dar.

  21. Diese Strickleitern der linken und rechten Körperhälfte waren über Kreuzkommisuren in jedem Segment miteinander verbunden, weil jedes sensorische und motorische Zentrum hemmend in das kontralaterale projizierte - unter Zwischenschaltung von Seitenwechselneuronen.

  22. Die analogen Verknüpfungen der Mittelwertzentren - auch diese projizierten in die Nachbarsegmente und in die kontralateralen Mittelwertzentren des gleichen Segments sind in diesem tetraneuralen (viersträngigen) Nervensystem fast nicht sichtbar, weil die Mittelwertsysteme (anfänglich) aus sehr wenigen Neuronen bestanden.

  23. Im Verlaufe der Evolution entstand - möglicherweise bereits bei den beteiligten unsegmentierten Bilateria - eine laterale Nachbarhemmung. Die Mittelwertneuronen der Klasse 6 besaßen eine größeren Dendritenbaum, mit dem sie die Erregung eines motorischen bzw. sensorischen Zentrums zusammenfassten und erregend in das zugehörige Mittelwertzentrum projizierten. Möglicherweise bildeten einige von ihnen im Verlaufe der Evolution einen hemmenden Transmitter. Der hemmende Neurotransmitter GABA entsteht durch Decarboxylierung von Glutamat, welches ein erregender Neurotransmitter ist. So könnten sich hemmende Neuronen gebildet haben. Sie saugten die Erregung der Umgebung auf und hemmten das allererste Neuron, welches sie mit ihrem kurzen Axon erreichten. So könnte sich eine laterale Nachbarhemmung entwickelt haben, die der Kontrastverstärkung zwischen den neuronalen Signalen dienten. Starke neuronale Signale hemmten die schwächeren. Zunächst diente diese laterale Hemmung der Kontrastverstärkung zwischen den Signalen innerhalb eines jeden neuronalen Zentrums.

  24. Die laterale Nachbarhemmung etablierte sich in allen Segmenten der segmentierten Bilateria, deren Linie zu den Wirbeltieren und den Menschen führte. Da es einen Signalaustausch zwischen der linken und der rechten Körperseite gab, kam es auch zur kontralateralen Hemmung auf Segmentebene. Die linke und rechte Körperhälfte stand in jedem Segment in neuronaler Konkurrenz zueinander.

  25. Es gab jedoch auch einen vertikalen Signalaustausch zwischen den Segmenten - auf der sensorischen Seite aufsteigend über Neuronen der Klasse 4 und auf der motorischen Seite absteigend über Neuronen der Klasse 5. Daher standen die verschiedenen Segmente des Körpers ebenfalls in neuronaler Konkurrenz untereinander. Diese Konkurrenz war auf der sensorischen Seite vorhanden und bezog sich auf sensorische Signale - sowohl die Eigensignale als auch die Fremdsignale. Zwischen den Neuronen der Klasse 3 wurde diese neuronale Konkurrenz durch hemmende Interneuronen bewirkt. Analoges galt für die motorische Seite, dort erregten die Neuronen der Klasse 5 hemmende Interneuronen, die die Nachbarhemmung verursachten. Alle Körpersegmente standen in neuronaler Konkurrenz zueinander.

  26. Diese neuronale Konkurrenz der Segmente untereinander führte in einem längeren Evolutionsprozess zur Spezialisierung. Da die Aktivität aller Organe letztlich neuronal angesteuert wurde (sowohl bezüglich des Inputs als auch bezüglich des Outputs), standen ihre Signale wegen des Signalaustausches in jedem Segment in Konkurrenz zueinander und unterdrückten sich gegenseitig. Die stärkste Konkurrenz fand in den kopfseitig gelegenen Segmenten statt, wo die Signale aus dem ganzen Körper ankamen. Die Signale aus den schwanzseitigen Segmenten wurden stärker unterdrückt als in den kopfseitigen. Dies führte dort zur Unterversorgung mit neuronalen Steuersignalen, in der Folge kam es zur (schrittweisen) neuronalen Atrophie, einer langsamen Rückbildung. Nach vielen Jahrmillionen gab es nicht mehr in jedem Segment jedes Organ, sondern nur noch jede Organart in wenigen Segmenten. Viele bedeutende Organe blieben letztlich nur noch in einem Segment erhalten (meist bilateral) oder - falls dies zur Lebenserhaltung nicht reichte - in wenigen direkt benachbarten Segmenten. Die Organe blieben jedoch nicht in den Kopfsegmenten erhalten, sondern in den tieferliegenden Segmenten. In den Kopfsegmenten waren die Rezeptorsignale der olfaktorischen, gustatorischen, visuellen und vestibulären Rezeptoren vorherrschend und gewannen den neuronalen Konkurrenzkampf mit den Steuerorganen der verschiedenen Organe, so dass diese in den Kopfsegmenten ebenfalls atrophierten.

  27. Die neuronale Konkurrenz führte auch zu einem langsamen Umbau der neuronalen Organisation. Viele Rezeptoren lieferten anfangs in jedem Segment annähernd gleiche Signale (Helligkeitsrezeptoren, Geschmacksrezeptoren, Verstibularrezeptoren). Wir bezeichnen sie als abhängige Rezeptoren. Auch diese standen in jedem Segment in neuronaler Konkurrenz untereinander. Am stärksten litten die schwanzseitigen Rezeptoren darunter. Sie wurden im Verlaufe der Evolution in diesen Segmenten reduziert (neuronale Atrophie) und letztlich zurückgebildet. Am Ende gewann für jede abhängige Signalart nur ein Kopfsegment die Vorherrschaft, seine Rezeptorenart blieb erhalten und führte dazu, dass diese Sinnesmodalität nur noch in diesem Kopfegment detektiert wurde. Hierbei konnte ein Segment durchaus mehrere Signalarten wahrnehmen, doch jede von ihnen hatte nunmehr ein Stammsegment, dem sie zugeordnet war.

  28. Die Vestibularsensoren nahmen einen Sonderweg. Besaß anfangs jedes Segment auf jeder Körperseite eine Statozyste, in der ein Statokonium umherrollte und die Haarzellen reizte, so kam es durch die neuronale Konkurrenz dazu, dass diese Statocysten nur noch in einem einzigen Segment erhalten blieben. Die Statocystem der übrigen Segmente bildeten sich schrittweise zurück. Die kleine Öffnung, durch die anfangs ein Sandkorn eindrang und als Statokonium wirkte, vergrößerte sich. Das Sandkorn fiel heraus, und das Wasser konnte in den Hohlraum eindringen. Nun reagierten die Haarzellen nicht mehr auf das Schwerefeld der Erde, sondern auf die Wasserströmung. Die Hohlräume wurden kanalartig und entwickelten sich zum Seitenliniensystem, einem wichtigen Fernortungssinn. Er ist das Relikt, welches die ursprünglich in jedem Körpersegment vorhandenen Vestibularorgane hinterlassen haben.

  29. Die unabhängigen Rezeptoren, die (statistisch gesehen) in jedem Segment eine andere Signalstärke aufwiesen, blieben in allen Segmenten erhalten. Die abhängigen dagegen blieben nur in den Kopfsegmenten übrig, und dort nur in jeweils einem Segment. Wir ordnen die unabhängigen Rezeptoren den Rumpfsinnen zu, während die abhängigen Rezeptoren den Kopfsinnen zugeschrieben werden. Die große Signalstärke der abhängigen Rezeptoren in den Kopfsegmenten führte wegen der neuronalen Konkurrenz aller Signale untereinander zur Unterdrückung der Steuersignale der verschiedenen Organe in den Kopfsegmenten, so dass diese wegen abnehmender Signalstärke zurückgebildet wurden und letztlich atrophierten.

  30. Eine Besonderheit entwickelte sich beim Vestibularsinn, der anfangs nicht so sehr der Ausrichtung im Schwerefeld diente, sondern vornehmlich der Fortbewegung. Hier erforderte der spezielle Aufbau einen Seitenwechsel der Signale bereits bei den unsegmentierten Tieren, etwa den Polypen. Dieser Seitenwechsel blieb bei den segmentierten Tieren erhalten, so dass sich unterhalb des Segments, welches die Vestibularorgane besaß, eine Signalkreuzung ausbildete. Signale oberhalb dieses Vestibularsegments nutzten diese Signalkreuzung ebenfalls, so dass speziell auch die visuellen Signale zur kontralateralen Seite kreuzten, bevor sie absteigend die Motorik ansteuerten. Die Signalkreuzung bestand aus einem sensorischen und einem motorischen Anteil.

  31. Das so entstandene Nervensystem derjenigen segmentierten Bilateria, deren Linie zu den Wirbeltieren führte, bestand aus einem tetraneuralen Nervensystem, welches ebenfalls segmentiert war und aus den Kopfsegmenten und den Rumpfsegmenten bestand. In jedem Segment befand sich eine Etage des Nervensystems, die aus den sensorischen und motorischen Ganglien bestand, zwischen denen Kommissuren und Kreuzkommissuren den waagerechten Signaltransport sicherten, während die Konnektive den Signaltransport von einem Segment zum nächsten sicherstellten. Sensorische Signale breiteten sich kopfwärts aus, wurden in jeder Etage zum ipsilateralen motorischen Kern (Ganglium) geleitet und dort auf absteigend projizierende Neuronen umgeschaltet, damit sie in den Zielsegmenten die motorischen Reaktionen auslösen konnten. Es gab zur Kontrastverstärkung die laterale Hemmung in allen Kernen, zwischen der linken und rechten Seite eine neuronale Konkurrenz, ebenso standen alle Segmente einer Körperhälfte in neuronaler Konkurrenz zueinander.

  32. Das erste Segment spezialisierte sich auf die Sensorik. Im zweiten Segment entstand die thalamische Etage. Im dritten Segment entstand das Tectum opticum. Im vierten Segment bildete sich der Torus semicircularis. Im fünften Segment entstand eine Kreuzungsetage, damit die vestibulären Signale zur Gegenseite wechseln konnten, um kontralateral gelegene Muskeln anzusteuern, damit die Standardposition des Körpers hergestellt werden konnte. Im sechsten Segment war ein weiteres Augenpaar vorhanden. Das siebente Segment bildete die Ein- und Ausgangsetage der Kopfsegmente, empfing die Rumpfsignale und steuerte die Rumpfmuskeln an.

  33. Der motorische Ausgangskern der siebenten Etage war der Nucleus ruber. Er realisierte die kontralaterale Hemmung der Gegenspielermuskeln auf Hirnstammebene, indem sei Output nicht nur die ipsilateralen Rumpfmuskeln ansteuerte, sondern gleichzeitig zu einem Seitenwechselkern zog, der erregend in den kontralateralen Nucleus ruber projizierte und dort an hemmenden Interneuronen endete. So wurde eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen den zwei Ausgangskernen hergestellt, die die kontralaterale Hemmung auf Hirnstammebene realisierte. Der Seitenwechselkern dieser Etage war ebenfalls bilateral angelegt und bildete den Nucleus olivaris, der erregend in den kontralateralen Nucleus ruber projizierte und dort hemmende Interneuronen zur Hemmung aktivierte.

  34. Diejenigen hemmenden Interneuronen des Nucleus ruber, die vom kontralateralen Nucleus olivaris erregt wurden, separierten sich und bildeten im Verlauf der Evolution einen eigenen Kern, den wir als Nucleus Purkinje bezeichnen. Er schaltet den Output des Nucleus olivaris auf den hemmenden Transmitter GABA um und projiziert hemmend in den Nucleus ruber, um die kontralaterale Hemmung auf Hirnstammebene zu realisieren. Aus dem Nucleus Purkinje ging die Cerebellumrinde der Wirbeltiere hervor.

  35. Der urtümliche Vestibularsinn - als Paläovestibularsinn bezeichnet - lieferte Korrektursignale bei Abweichungen von der Standardlage des Körpers im Wasser. Durch die geringe Reibung pendelte der Körper nach Erreichen der Standardlage weiter, was wiederum Korrektursignale bewirkte. So pendelte der Körper hin und her, und eine dabei entstehende Vortriebskomponente bewirkte eine Vorwärtsbewegung im Wasser. Flossen vergrößerten den Wirkungsgrad der Vortriebskomponente. Damit diente der Vestibularsinn vornehmlich der Vorwärtsbewegung.

  36. Der Palöovestibularsinn war maximumcodiert. Ein Sandkorn rollte in der Statocyste an die tiefste Stelle, wo es die dortigen Haarzellen reizte. Die Haarzelle mit der maximalen Erregung lieferte das motorische Korrektursignal an die kontralateral gelegenen Muskeln des Rumpfes. Den Seitenwechsel ermöglichte die Kreuzungsetage.

  37. Der Vestibularsinn wurde im Verlaufe der Evolution technisch verbessert. Eine gallertige Masse schützte die Haarzellen vor dem Abrieb. Auf dieser Masse wurden selbsterzeugte Statokonien gebildet, die das Sandkorn ersetzten. Die Haarzellen glichen nun Blattfedern, die an einem Ende fest eingespannt waren und den Stytocystemhohlraum auskleideten. Diejenige Haarzelle, die sich an der tiefsten Stelle befand, wurde nun am wenigsten erregt, so wie eine senkrecht stehende  Blattfeder auch die geringste Biegung aufweist. Damit war das Vestibularsignal nun minimumcodiert. Diese Art des Vestibularsinns bezeichnen wir als Neovestibularsinn.

  38. Die minimumcodierten Vestibularsignale waren für eine motorische Ansteuerung ungeeignet. Sie musste in maximumcodierte überführt werden. Dies leistete der Purkinjekern, indem er den Output des benachbarten Mittelwertkerns - des Nucleus reticularis - relativ hemmte. So wurde die Signalstärke umgekehrt und der Output war wieder maximumcodiert. Die Neuronen des Nucleus reticularis, die diese Signalinversion realisierten, spalteten sich im Verlauf der Evolution ab und bildeten einen Neuronenkern, der als Nucleus fastegii bezeichnet wird und ein Kleinhirnkern wurde. Der Teil des Purkinjekerns, der die Vestibularsignale verarbeitete, wurde zum Vestibulocerebellum. Es diente der Signalinversion der Vestibularsignale, damit sie als maximumcodierte Signale motorische Reaktionen bewirken konnten.

  39. Die spinalen Rumpfsignale der Muskelsensoren wurden im Verlauf der Evolution ebenso behandelt wie die Vestibularsignale. Sie dienten nicht nur der Ansteuerung der Rumpfmuskeln, sondern wurden über den Nucleus olivaris der Gegenseite zugestellt, dort im Purkinjekern auf GABA umgeschaltet und hemmten die vom Nucleus reticularis gelieferten Mittelwertsignale im Purkinjekern. Dadurch wurden sie invertiert. So wurde die kontralaterale Hemmung der motorischen Gegenspieler auf Hirnstammebene ersetzt durch die inverse Erregung (Co-Aktivierung). Der Teil der Purkinjekerns, der die spinalen Rumpfsignale invertierte, wurde das Spinocerebellum, der zuständige Kleinhirnkern wurde der Nucleus interpositus, der aus dem Nucleus emboliformis und dem Nucleus globosus besteht. Die Hauptaufgabe des Spinocerebellums zu dieser Zeit war die inverse Erregung der motorischen Gegenspieler.

  40. Der Output des entstehenden Cerebellums erreichte nicht nur den Nucleus ruber, um dort die inverse Erregung der motorischen Gegenspieler zu bewirken, sondern gelangte auch über Neuronen der Klasse 4 kopfwärts und bildete eine eigene Leiter im Strickleitersystem. Aus dieser entstand im Verlaufe der Evolution der Frontalcortex. Daher bezeichnen wir die cortikale Leiter mit den Cerebellumsignalen als frontale Wendeschleife. Die Neuronen der Klasse 4 übergeben die Signale an Neuronen der Klasse 3, die zur motorischen Seite der frontalen Wendeschleife in Neuronen der Klasse 5 projizierten. Letztere steuerten absteigend die zugehörigen Motoneuronen an.

  41. Durch die Entwicklung von verschiedenen Rezeptorenarten und die starke Zunahme der Rezeptoren einer jeden Rezeptorenart stieg im Strickleiternervensystem sowohl die Anzahl der waagerecht projizierenden Kommissurneuronen der Klasse 3 und 2 als auch die der senkrecht projizierenden Konnektivneuronen der Klasse 4 und 5. Die vertikalen Axone bildeten breite Axonbündel, die sich zu einem Neuralrohr vereinten, in dessen Mitte ein flüssigkeitsgefüllter Hohlraum, der Ventrikelraum, entstand. Im Schnittbild liefert das Neuralrohr wieder die ursprünglichen Strickleitersysteme, da deren ursprünglicher Aufbau erhalten blieb.

  42. Im Neuralrohr entstand, bedingt durch die topologische Anordnung der Neuronen und Axone, in jedem Segment für jede Modalität ein Körpermodell der signalliefernden Rezeptoren all der Segmente, die sich schwanzseitig befanden. Diese Inputmodelle befanden sich räumlich als Schichten in Halbzylinderformen ineinandergestapelt. über Neuronen der Klassen 3 projizierten sie in motorische Körpermodelle, die ebenfalls aus in Halbzylindern angeordneten Neuronen der Klasse 5 bestanden. So konnte jede Modalität motorisch wirksam werden. Die Körpermodelle in der obersten Etage repräsentierten alle Segmente des Körpers, aus ihnen ging bei den Wirbeltieren der Cortex hervor. Dieser war durch die Aufspaltung der Modalitäten in vier Modalitätenschleifen ebenfalls in vier Lobi unterteilt.

  43. Im Verlauf der Evolution kam es in den oberen zwei Etagen zu einer Auffaltung der Axone der Klassen 4 und 5 derart, dass separate Wendeschleifen für verschiedene Modalitätenklassen entstanden. Die Temporalschleife empfing vorwiegend die Signale der Haarzellenrezeptoren. Diese dienten einerseits dem Vestibularsystem, andererseits dem Seitenliniensinn des Rumpfes. Mit der Weiterentwicklung des Vestibularsystems entstand der Hörsinn, dessen Signale ebenfalls in der Temporalschleife ausgewertet wurden. Weiterhin empfing die Temporalschleife direkt - also ohne Umweg über die thalamische Ebene - die olfaktorischen Signale und umfasste später auch das sich bildende limbische System. Auch andere sensorische Rumpfsinne (Elektrosensitivität) belieferten die Temporalschleife. Die Parietalschleife empfing die Signale der Muskelspannungsrezeptoren des Rumpfes sowie die der Sehnenorgane und die Signale weiterer, die Gelenkstellungen analysierenden Rezeptoren des Rumpfes. Mit der Herausbildung von Sensoren für den Tast- und Schmerzsinn wurden deren Signale ebenfalls in der Parietalschleife ausgewertet. Später kamen die analogen Signale der sich entwickelnden Flossen bzw. der Extremitäten der Tetrapoden hinzu. Die Okzipitalschleife empfing den Output der Sehrezeptoren. Der Output des Cerebellums wurde der sich bildenden Frontalschleife zugeführt. Aus den Wendeschleifen gingen die verschiedenen Lobi des Wirbeltiergehirns hervor.

  44. Im Neuralrohr befanden sich die Körper der Nervenzellen innen, außen verliefen die Axone. Die starke Zunahme der Anzahl der Axone, die außen vom Nucleus olivaris zur Gegenseite zogen, um innen im Cerebellum an dessen Purkinjezellen anzudocken, führte zum Entstehen einer spaltartigen Neuralrohröffnung, durch die diese Axone nach innen hindurchzogen. Die durch den Spalt austretende Ventrikelflüssigkeit umgab nun das Urhirn auch von außen. Das Cerebellum selbst vergrößerte sich so stark, dass es aus dem Neuralrohrinneren durch den entstandenen Spalt herausgedrängt wurde und nun außen am Neuralrohr anlag.

  45. Die Purkinjezellen des frühen Spinocerebellums steuerten die kontralateralen Muskeln an. Daher war dieses Spinocerebellum ein motorisches Körpermodell der kontralateralen Seite.

  46. Die Neuronen der Klasse 3 fanden als Moosfasern einen Zugang zum Cerebellum. Ihre Signale repräsentierten die ipsilateralen Körpermodelle und entstammten den Muskelspindeln, später auch den Tast- und Schmerzrezeptoren. Bereits auf Neuralrohrebene erregten diese Signale die kontralateral gelegenen Motoneuronen zum Zweck des Eigenschutzes des Lebewesens. Da die Purkinjezellen die kontralaterale Seite repräsentierten, wurden sie im Cerebellum von den Tast- und Schmerzsignalen ebenfalls erregt. Erzeugte eine Einwirkung auf den Körper Tast- oder Schmerzsignale, so wurden die kontralateralen Muskeln erregt und entfernten den betreffenden Körperteil von dem Ort der Einwirkung. Die Erregung der Purnkinjezellen durch die Moosfasern erfolgte über die Zwischenschaltung der Körnerzellen, die als lokale Interneuronen wirkten. Damit übernahm das Spinocerebellum zusätzlich den Eigenapparat des Neuralrohrs und diente dem Eigenschutz. Die Purkinjezellen repräsentierten das kontralaterale motorische Körpermodell, die Körnerzellen dagegen das ipsilaterale sensorische Körpermodell.

  47. Mit der Zunahme der Rezeptoren, Muskeln und Motoneuronen begann eine starke Umfangserweiterung des Nucleus olivaris und der Cerebellumrinde, Faltenbildung ermöglichte eine größere  Flächenzunahme. Die Dendritenbäume der Purkinjezellen machten diese  Umfangserweiterung mit und entwickelten breite, ausladende Dendritenbäume, die zunehmend flacher wurden. Die Axone der Körnerzellen, die möglichst viele Purkinjezellen erreichen mussten, wuchsen in die orthogonale Richtung.

  48. Auch die Signale der ipsilateralen Muskelspindeln fanden über die Moosfasern einen Zugang zum Cerebellum. Sie wirkten jedoch hemmend auf die Purkinjezellen, da diese das kontralaterale motorische Körpermodell darstellten. Diese Hemmungswirkung wurde von Korb- und Sternzellen bewirkt, die von diesen (motorischen) Moosfasern erregt wurden. Eine starke motorische Erregung eines Muskels verminderte so im Cerebellum die Erregung des Gegenspielers.

  49. In der obersten Etage des Strickleitersystems, der cortikalen Etage, die durch die Aufspaltung in vier Modalitätenetagen zerfallen war, entstand in einem längerem Entwicklungsweg das Striatum. Alle cortikalen Neuronen der Klasse 6 projizierten ins dopaminerge Mittelwertzentrum der siebenten Etage, die Substantia nigra pars compacta. Diese lag unmittelbar benachbart zum Nucleus ruber und war ebenfalls bilateral vorhanden. Wie jeder Mittelwertkern projizierte diese zurück zur cortikalen Etage. Dort endete diese Rückprojektion jedoch an den hemmenden Interneuronen, die der lateralen Hemmung dienten. Diese sonderten sich räumlich ab und bildeten das Striatum, genauer die Striosomen des Striatums. Sie schalteten die cortikalen Signale, die von der Substantia nigra zurückkehrten, auf den hemmenden Transmitter GABA um. Sie bildeten im Verlauf der Evolution eigene Projektionsaxone, die im Nucleus ruber punktgenau an den Neuronen endeten, die auch das zugehörige erregende Cortexsignal empfingen, und hemmten diese. Durch die dopaminerg verursachte Zeitverzögerung war diese neuronale Differenzschaltung nunmehr zeitempfindlich und konnte Bewegungen von Objekten detektieren, die über verschiedenste Modalitäten wahrgenommen wurden. Bewegungen konnten nun gerochen, gesehen, ertastet, also multimodal erkannt werden und im Nucleus ruber Bewegungen generieren, da dieser der motorische Ausgangskern des Urhirns war.

  50. Es bildeten sich zwei cortikale Projektionen heraus. Einerseits projizierten die cortikalen Mittelwertneuronen der Schicht 6 über den Tractus tegmentalis zum Nucleus ruber und von dort über den Nucleus olivaris in das Kletterfasersystem des Cerebellums. Dieses Mittelwertgebiet entwickelte sich zum Pontocerebellum. Andererseits projizierten die cortikalen Neuronen der Klasse 5 aus den gleichen Cortexgebieten über die Brückenkerne und das Moosfasersystem in die Körnerzellen dieses Pontocerebellums. Hierbei waren beide Projektionswege clustertreu, die Signale der Kletterfasern und die der Körnerzellen entstammten dem gleichen Cortexcluster und führten beide zur Erregung der Purkinjezellen. Signale aus Nachbarclustern wirkten auf die Purkinjezellen hemmend unter Zwischenschaltung von Korb- und Sternzellen, wobei die große Länge der Parallelfasern die Bereitstellung von Signalen aus Nachbarclustern ermöglichte. Ein Cortexcluster bestand jeweils aus einem Mittelwertneuron und denjenigen Neuronen der Klasse 5, die genau dieses Mittelwertneuron erregten. Outputneuronen im Nucleus dentatus, dem Kleinhirnkern des entstehenden Pontocerebellums, erzeugten nur dann ein Signal, wenn sowohl Neuronen aus den zugeordnetem Cortexcluster aktiv waren und gleichzeitig auch in den Nachbarclustern Aktivität vorhanden war, also ein Komplexsignal vorlag.

  51. Die tetanische Erregung der Purkinjezellen und der Interneuronen des Pontocerebellums bewirkte bei vorliegender Körnerzellaktivität die LTP und LTD der synaptischen Kopplung. Dadurch wurden Purkinjezellen auf ein Eigensignal geprägt. Lag dieses an, so war der Cerebellumoutput deutlich stärker. Durch die divergente Verteilung der Kletterfasersignale auf mehrere Purkinjezellen konnten pro Cerebellumcluster mehrere verschiedene Komplexsignale erlernt werden.

  52. Nervenzellen konnten absterben. Die Übertragungssicherheit konnte dadurch erhöht werden, dass ein Signal auf mehrere Nervenzellen verteilt wurde, so dass ein Axonbündel die Weiterleitung sicherstellte. Bei der divergenten Verteilung auf mehrere, später viele benachbarte Neuronen trat eine abstandsabhängige, exponentielle Signaldämpfung auf.

  53. Ein motorisches Signalpaar, bestehend beispielsweise aus dem Muskelspindelsignal eines Muskels und seines motorischen Gegenspielers, wurde bei der divergenten Signalverteilung auf eine Reihe von Outputneuronen minimumcodiert, weil die überlagerung von zwei streng konkaven Funktionen ein Minimum hervorruft, bei dem die Lage des Minimums von der Feuerrate der zwei Inputneuronen abhängt. Dieses minimumcodierte Signal verschlüsselte somit das Feuerratenverhältnis der beiden Inputsignale, also im Prinzip etwa den Gelenkwinkel. Erreichte dieses minimumcodierte Signal das Spinocerebellum, so wurde es invertiert und maximumcodiert. Im Nucleus ruber, dem motorischem Ausgangskern, wurden von diesen maximumcodierten Outputneuronen die beiden Motoneuronen der zwei Muskeln angvesteuert, so dass wieder der Gelenkwinkel eingestellt werden konnte. Die Signaldivergenz im Nucleus olivaris führte zur räumlichen Aufblähung dieser Struktur, durch Raummangel kam es zur Faltenbildung. Analoges war in der Cerebellumrinde zu beobachten. Im Nucleus ruber wurde durch eine Signalkonvergenz diese Signaldivergenz wieder rückgängig gemacht. Die dazu nötigen magnocellularen Neuronen bildeten den magnocellularen Kernanteil des Nucleus ruber.

  54. Die Signaldivergenz trat auch im Cortex auf. Die Inputneuronen der Klasse 4 verteilten den Input in der Fläche auf sehr viele Neuronen der  Klasse 3, die ihrerseits zur motorischen Cortexseite in Neuronen der Klasse 5 projizierten. So gab es auch im Cortex extremwertcodierte Signale. Im visuellen Cortex entstand durch den magnocellularen Input der Hell-Dunkel-Signale sogar ein maximumcodiertes Signal, welches den Neigungswinkel einer Geraden codierte.

  55. Im Gegensatz zum Nucleus ruber führte die cortikale Signaldivergenz zu maximumcodierten Signalen. Dies lag daran, dass die Signaldämpfung in der Fläche erfolgte, so dass der Abstand quadratisch in die Dämpfung einging. Elektrische Potentialunterschiede der Zellmembran wurden durch die Ladungen von Ionen verursacht, deren Konzentration mit dem Quadrat des Abstandes abnahm, wenn sich die Ionen in der Fläche verteilen mussten. Die Erregungsfunktion eines einzelnen Outputneurons war konkav. Die Überlagerung mehrerer solcher konkaver Funktionen führte zum Auftreten von Maxima, deren Lage von den Parametern des Systems abhing.

  56. Diese cortikalen, extremwertcodierten Signale wurden ebenfalls in das Basalganglinensystem einbezogen. Über den dopaminergen Umweg über die Substantia nigra pars compacta erreichten sie die Matrix des Striatums, deren Neuronen vom cortikalen Input dauererregt waren, und hemmten diese. Dadurch wurden diese Signale invertiert. Sie zogen jedoch nicht mehr zum Nucleus ruber, sondern aufwärts zum ventralen Thalamus. Dort hemmten sie die gleichartigen Cortexsignale, von denen sie abgeleitet worden waren. Da sie jedoch einen dopaminergen Umweg genommen hatten, stellten sie Vergangenheitssignale dar, die die Gegenwartssignale hemmten. Hatte sich in der Zwischenzeit nichts verändert, so gab es keinerlei Output, Erregung und Hemmung eliminierten sich. Nur bewegte Objekte hinterließen ein Restsignal. So entstand im ventralen Thalamus ein Abbild derjenigen Objekte, die sich zwischenzeitlich bewegt hatten. Da die Basalganglien in allen cortikalen Wendeschleifen und später in allen Lobi des Gehirns vorhanden waren, wurden bewegte Objekte aller Modalitäten erkannt. Bewegungen konnten also gerochen, gesehen, ertastet werden, vom Vestibularsystem wahrgenommen werden, ebenso war Bewegungserkennung z. B. durch den Seitenliniensinn oder den elektrosensorischen Sinn möglich.

  57. Die Abbilder der bewegten Objelte erzeugten im ventralen Thalamus Erregungsmuster, die über Neuronen der Klasse 4 den Cortex erreichten. Dort aktivierten sie die dortigen Neuronen der Klasse 4, die sich zu lokalen Interneuronen entwickelt hatten. Diese erregten Neuronen der Klasse 3, die zur motorischen Seite projizierten. Dort wurden Projektionsneuronen der Klasse 5 erregt, die absteigend zu den motorischen Zielen projizierten. So bewirkten Bewegungen von Objekten, die von vielerlei sensorischen Rezeptoren registriert wurden, letztlich motorische Reaktionen.


Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan